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Dankbarkeit für Essstörung

Das mag sich am Anfang ungewohnt anhören oder anfühlen. Wie kann man einer Essstörung dankbar sein?

 

Ich habe etwas gelernt oder lernen müssen, was für die meisten Menschen eine Selbstverständlichkeit ist. Offen und ehrlich zu sein und zu sagen, wie ich denke, meine Bedürfnisse mit der Aussenwelt zu teilen. Das war für mich undenkbar, ich hab mich so falsch gefühlt insgesamt. Das hat mich zur vermeintlichen Meisterin gemacht: „wie könnte der andere mich haben wollen?“ und hab dadurch alles mitgemacht. „Nein“ zu der Frage, ob ich mich mit jemandem treffen will zu sagen, weil ich müde bin, keine Lust habe – das war für mich keine Option. Wenn ich etwas nicht wollte, hab ich Ausreden erfunden, viele Ausreden. Heute tut mir das leid, vor allem, weil keiner der Menschen, die sich mit mir treffen wollten, sich an einem „nein“ gestört hätte.

 

Ich bin natürlich auch der Frage nachgegangen, wieso ich mich immer so falsch gefühlt habe. Viele Puzzlesteine dazu habe ich finden und für mich auflösen dürfen. Ansonsten hat bei mir das Bewusstsein, dass ich nicht glücklich werden kann, wenn ich nicht lerne, zu mir und meinen Bedürfnissen und Wünschen zu stehen, viel ausgelöst. Ich habe mich dann wenigen Freunden anvertraut und habe mein „Nein“ üben dürfen. Auch dafür bin ich total dankbar. Und ich hab versucht, mir selbst nicht böse zu sein, wenn ich es nicht gleich geschafft habe. Einfach zu erkennen war es für mich insofern, dass ich es an meinem Essverhalten gemerkt habe, wenn etwas nicht stimmig war oder ist. Das ist auch heute noch so. Bei Überforderung oder Abweichungen „von mir selbst“ habe ich immer noch das Bedürfnis mich zu überessen.

 

Meine Theorie ist, dass ich dadurch, dass ich sehr selten gesagt habe, was ich brauche, was sich für mich gut und richtig anfühlt, einfach keinen Selbstausdruck gefunden habe. Und dass sich das durch die Bulimie Bahn gebrochen hat, Bahn brechen hat müssen. Irgendeinen Weg findet das „System Mensch“ bei jedem. Ausdruck oder sich ausdrücken scheint etwas sehr essentielles zu sein. Schön sieht man das bei Künstlern, Sängern, Tänzern, Malern,…. Weniger eindeutig ist es bei Krankheiten, egal ob körperlich oder psychisch, Ticks oder eigentümlichem Verhalten zu sehen. Ich weiss auch nicht, ob wirklich immer dasselbe dahinter steckt.

 

Ich bin jedenfalls froh, dass ich auf meinem Weg der Heilung Frieden mit der Essstörung schließen konnte und dass ich eine andere Art des Ausdrucks in meinem Leben finden durfte. Es fühlt sich unheimlich befreiend an!

 

Es ist verdammt spannend, wer auf dieser Welt was lernen darf. Und dass es oft Dinge sind, bei denen sich jemand anderer auf den Kopf greift, wie das denn ein Problem darstellen kann :-) das im Hinterkopf zu behalten lässt einen viel entspannter und unkritischer mit den Menschen um sich umgehen. 

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