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Selbstwert von innen

Heute schreibe ich über ein sehr persönliches Thema. Natürlich kann ich nur aus meiner eigenen Sicht und meinen Beobachtungen schreiben und ich bemühe mich, dabei niemandem zu nahe zu treten. Es geht dabei keineswegs um Schuldzuweisungen sondern um für mich wertvolle Erkenntnisse durch Miterleben. Mein Vater ist ein wertvoller Mensch, der unheimlich viel für mich getan hat, der mir absolut wertvolle Dinge mitgegeben hat und zu dem ich eine gute Beziehung habe! Das ist mir wichtig, das ist kein Zeigefinger auf ihn, ich glaube, dass es da einer gesamten Generation so oder so ähnlich geht!

 

Mein Vater hat für seinen Job gelebt, ich habe selten jemanden mit so einer Leidenschaft und auch Verbissenheit arbeiten sehen. Wenn ihn etwas beschäftigt hat, dann hat sein Kopf nur darum gekreist. Um Sozialkontakte und Hobbies und Urlaube hat sich meine Mama gekümmert. Als die Firma dann in Konkurs ging, war er 51 und hatte damit kaum eine Chance am Arbeitsmarkt, in seiner Branche hat ein kompletter Wandel stattgefunden und er war, wie in unserer Gesellschaft leider häufig, zu alt und zu teuer. Seitdem ist er verfallen, für ihn war das nicht nur ein Verlust seines Jobs, sondern ein Gesichtsverlust, der Grund für Scham, persönliches Versagen, Verlust des Großteils seines Lebensinhalts.

 

Als Tochter ist das natürlich nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Auch ich habe meinen Selbstwert auf Leistungen aufgebaut. Nach Beginn meiner Essstörungen hatte ich herausragende Noten, habe alle meine Ausbildungen mit Auszeichnung abgeschlossen. War in meinen Jobs und beim berufsbegleitenden Studium immer ganz vorne dabei mit Leistung, Motivation UND mich selbst zu übergehen. Nach jedem Lob mehr tun, damit ich wieder Lob bekomme. Auf andere herabsehen, wenn sie Leistungen nicht gebracht haben oder Fehler gemacht haben. Das Gefühl, perfekt sein zu können, hat mich angetrieben. Die innere Leere hat es nicht füllen können. Das konnten auch Partnerschaften, Leistungssport und diverse andere Dinge nicht. Irgendwann musste ich mich der Leere stellen und mir diese anschauen, mich kennenlernen, wer ich eigentlich bin. Mein Körper hat in diesen Jahren des Leistungsdrucks ständig rebelliert, ich war pausenlos krank, und wenn ich ganz ehrlich bin, innerlich war ich immer froh, wenn ich krank geworden bin, weil das ein oder zwei Wochen Ruhe bedeutet hat. Ausstieg aus dem Hamsterrad. Raus aus den langen Tagen und kurzen Nächten.

 

Ich leiste heute, von außen betrachtet, so wenig wie noch nie. Aber ist das wirklich so? Ja, ich bin deutlich weniger Stunden angestellt als jemals zuvor. Nein, ich wache nicht mehr in der Nacht auf und schicke mir selbst Emails in die Arbeit (früher teilweise bis zu 15 Nachrichten pro Nacht!) mit Erinnerungen. Ich habe jetzt Zeit. Ich habe Zeit zu telefonieren. Ich habe Zeit, mich teilweise mittags in die Badewanne zu legen. Ich habe Zeit mich gut um mich und andere zu kümmern. Und ich bin erfüllter als jemals zuvor. Viele Menschen wundern sich, wie sich das ausgehen kann. Ich fahre immer noch gerne weg, aber ich MUSS nicht mehr wegfahren, weil mich das HIER glücklich macht. Ich arbeite gerne, aber es ist nicht mein einziger Lebensinhalt. Ich muss mich nicht mehr über Leistung definieren. Ich darf einfach ich sein und das ist mehr als genug!

 

Der Weg dahin?

 

Ich habe auf mich gehört, ich habe mich Dinge getraut, Mut zusammen gesammelt, andere Menschen beobachtet, wie sie ihr Leben leben. Ich habe viel nachgeholt, Schlaf, Selbstliebe, zu mir gut sein. Ich habe Selbstliebe in den kleinen Dingen geübt, Handschuhe angezogen, wenn mir kalt war, auch wenn ich wusste ich bin in 5 Minuten zuhause. Ich habe mich nicht mehr verurteilt, wenn mir alles zu schnell und zu viel war. Sondern mir die Ruhe gegönnt, die ich brauche. Und vor allem, mich auf allen Ebenen genährt. Geistig, körperlich und seelisch. Nähren klingt immer nach etwas aktivem, für mich kann es aktiv und passiv sein. Auch Ruhe geben kann sehr nährend sein. Raum entstehen lassen kann sehr nährend sein.

 

Wie geht es dir mit deinem Leben?

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