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Tiefe Gefühle - Geschenk oder Bürde?

Wie lebt es sich mit intensiven Gefühlen? Wie lebt es sich damit in der Nacht schluchzend aufzuwachen oder einen ganzen Abend zu heulen und sich nicht beruhigen zu können? Natürlich habe ich auch die andere Seite, ich kann eine 100 Watt Birne überstrahlen, wenn es mir richtig gut geht. Da bin ich ein Magnet, da fällt mir alles leicht, da bin ich voller Feuer.

 

Der Satz, es so anzunehmen und als Geschenk zu sehen, ist leicht geschrieben. Wenn es mir gutgeht und ich in der Höhe bin, stimme ich ihm zu. Wenn ich in der Tiefe bin, keinen Ausweg sehe, ernsthaft daran zweifle, dass es mir jemals wieder gut gehen kann, dann hasse ich diesen Satz. Wenn meine Augen zugeschwollen sind und mein ganzer Kopf vom Weinen und Schluchzen wehtut, fühle ich mich von diesen Worten verhöhnt. Warum ich so traurig bin? Mein Kopf findet ganz oft Gründe dafür. Ich weiß es nicht. Ich war viel traurig und habe viel geweint, seit ich denken kann. Es ist ein Teil von mir.

 

Diese Sensibilität, diese intensiven Gefühle plus Empathie und soziales Gewissen führen für mich in einen weiteren Strudel, denn wieso geht es mir nicht gut. Ich sollte viel dankbarer sein für mein Leben. Ich sollte das Gute sehen. Ich sollte positiv eingestellt sein. Ich lebe in einem Teil der Welt, in dem Frauen Rechte haben. Wenn ich dann mitbekomme, was Frauen (+Kinder + Tiere +Umwelt) in anderen Teilen der Erde ertragen müssen (und ja auch in meinem Teil der Welt gibt es ganz andere Realitäten), ich kann es kaum lesen, dennoch tue ich es, weil ich auch nicht wegschauen kann. Dann lese ich, es ist meine Pflicht, meine Freiheit zu feiern und ich bin da mit diesen vielen Nachrichten und weiß wirklich nicht wie das gehen soll. Ich kann daraus aber auch keine Aktionen ableiten, weil ich wie gelähmt bin und alles in mir erstarrt.

 

Was man nicht ändern kann, gilt es anzunehmen, oder? Was ich daher tue, ich genieße die Höhen und leide in den Tiefen, weil mir nichts anderes überbleibt. Was ich aber tun kann, ist viel Prävention auf allen Ebenen: Darmbakterien und frisches Essen genauso wie Schokolade, wenig Serienbingen, fesselnde Bücher lesen, Menschen treffen und zu Veranstaltungen gehen wo ich mich richtig wohlfühle, mich mit der Natur verbinden, ab und zu einen Tag im Bett verbringen, mich zurück ziehen, mir helfen zu lassen bei den Dingen die mir schwerfallen, mich halten lassen, wissen, dass es jahreszeitenabhängig ist. Es ist wichtig, dass ich gut auf mich aufpasse, denn wenn ich im Downward Strudel bin, fallen mir die Dinge nicht mehr ein. Ich weiß dann nicht mehr, dass mir Spazierengehen guttut oder ich bringe die Kraft dafür nicht auf. Ich vergesse, was ich gerne lese und lege das Sachbuch, mit dem ich mich weiterbilden/informieren will zugunsten der seichten Serie immer wieder aus der Hand. Und dann, gefühlt oft plötzlich, geht es mir wieder besser, und ich rede mir ein, dass es ja gar nicht so schlimm war.

 

Wenn es dir auch so geht, würde ich dir gerne helfen und ein unglaublich inspirierendes Schlusswort mit möglichen Lösungen präsentieren – hab ich nur leider nicht. Was ich dir hoffentlich geben konnte, war das Gefühl, verstanden zu werden und nicht alleine zu sein! Und: genauso wie ich früher mit Bulimie gelebt und gearbeitet und geliebt habe, genauso lebt es sich ja auch in den Traurigkeitsphasen. Auch dann kann ich tolle Termine mit meinen Kund*innen haben, sichere Räume halten, essen gehen, mich mit Freundinnen treffen – nur das davor und danach unterscheidet sich drastisch…

 

Intensive Gefühle können ein Geschenk sein – manchmal würde ich es trotzdem gern umtauschen. Und dann auch wieder nicht, weil ich damit mich so wie ich bin verraten würde.  

 

 

PS: manchmal lassen sich diese Schwankungen mit Hormonen und Zyklusphasen erklären, aber ganz oft auch nicht :-) hab oft während meiner Blutung ein Wahnsinnshoch (und die tollsten Haare) und bin vor dem Eisprung total betrübt – es braucht viel, um wirklich der eigenen Wahrnehmung zu vertrauen und sich das aus Konzepten zu nehmen, was hilft und sie nicht über sich drüberzustülpen und sich hineinzupressen!

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