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Was beschäftigt mich noch betreffend Essen/Essstörung?


diätmentalität

Diäten sind ein rotes Tuch für mich (und auch alle Diäten, die sich unter Fasten, Ernährungsumstellung,… tarnen). Nur leider sind Diäten, Gespräche über Diäten, Werbung für Diäten so gut wie überall. Im Fitnesscenter, im Supermarkt, bei Familienfeiern, unter Freundinnen, in der Straßenbahn. Und ja, nicht jede Diät mündet in einer Essstörung aber jede Essstörung beginnt mit einer Diät. Es zeigt einfach auf, wie groß die Gewichtung von Aussehen und Figur in unserer Gesellschaft ist. Und das gilt für Frauen, Mädchen und weiblich gelesene Personen nochmal extra. Wenn man sich intensiv damit beschäftigt hat, hört und sieht man das auch ganz anders. Wenn ich im Fitnesscenter eine Frau mit Größe Small sehe, die über ihre „fetten“ Beine redet, möchte ich die Augen verdrehen. Aber wie könnte ich das? Ich hab es ja selber jahrzehntelang so gesehen – es war meine Realität, meine Wahrheit, ich hab mein Leben nach meiner Figur ausgerichtet gehabt. Mir war zu vielen Zeiten meines Lebens meine Figur und die damit verbundenen Sporteinheiten oder speziellen Essenszubereitungen wichtiger als z.B. meine Freunde zu sehen.  Jetzt, im Rückblick, nach meinem ganzen Weg, tut es mir weh, dies mitzuerleben und ich wünsche mir, dass die Welt anders aussehen würde. Ich wünsche mir, dass wir Prioritäten anders setzen würden. Ich wünsche mir, dass die Figur in den Hintergrund rückt und andere Werte einen höheren Stellenwert bekommen. In meinem direkten Umfeld kann ich darauf aufmerksam machen, aufklären oder darum bitten, bestimmte Dinge nicht mehr zu sagen oder ständig zu thematisieren. Mir ist klar geworden, dass gesellschaftlich anerkannt nicht gleich gesund bedeutet – das ist mein Fazit daraus. Denn Diätmentalität ist unglaublich tief in unserer Gesellschaft verankert. Und ich glaube, dass das nach Essstörungen ganz oft den Unterschied ausmacht tief in uns drin. Habe ich die Symptome der Essstörung hinter mir gelassen, bin aber noch in der Diätmentalität verankert oder konnte ich beides hinter mir lassen? In meinem Fall habe ich die Diätmentalität in meiner Recovery Zeit abgelegt und bis auf die weiter beschriebenen Gedanken ist es das auch!


gewichtsabnahme

Was für mich persönlich ein Thema wird, ist, wenn ich abnehme. Da ich keine Waage und keinen Ganzkörperspiegel habe, merke ich es entweder an der Kleidung oder an Außenreaktionen („oh, hast du abgenommen“ ist leider ein Standardkompliment – wenn auch ein sehr schwieriges, denn Abnahmen passieren ja nicht nur durch gezielte Diät sondern auch oft bei Krankheiten oder nach Schicksalsschlägen. Und wenn es eine Diät ist, wird damit der Diätkreislauf weiter angefeuert. Somit wenn du das liest, vielleicht magst du ja in Zukunft andere Komplimente verteilen: z.B. „wow, du strahlst ja richtig“). Wenn ich abnehme, passiert das erstmal unbeabsichtigt, sobald ich es aber bewusst weiß, verändert sich etwas. Diese leise Stimme flüstert mir zu: „vielleicht ist es ja jetzt soweit und du kannst ohne Mühen ganz leicht endlich doch deine Traumfigur erreichen. Jetzt wo du alles hinter dir hast, ist es vielleicht doch möglich“ – inklusive dem Heile-Welt-Szenario, das mit der „perfekten“ Figur einhergeht (Glückseligkeit, keine Probleme, beliebt, begehrt, erfolgreich *g*). Und dann kommt Stress in das Ganze hinein und ich darf mich zurück besinnen, wo mich Regeln hingebracht haben und mich ganz bewusst gegen diesen weiteren Weg entscheiden. Denn ich kann das alles viel eher haben, wenn es mir richtig gut geht, wenn ich gut für mich sorge und nicht wenn ich mich aushungere. 


mindset ist alles

Was vielleicht nicht nur mit Essen zu tun hat, aber wo ich merke, dass meine Essstörungsgeschichte einen großen Anteil an meiner Sichtweise hat. Wir leben in einem Zeitalter, in dem „alles mindset ist“. Wenn dir was nicht gelingt oder du etwas nicht geschafft hast, dann hast du es nicht richtig manifestiert, nicht fest genug daran geglaubt. Auch bei schweren Krankheiten heißt es dann oft, man hätte sie angezogen weil man z.B. nicht genug an sich gearbeitet hat. Ich finde dass diese Richtung sehr schwierig ist, denn sie bringt uns weg vom Mitgefühl und auch weg vom miteinander. Denn sie bedeutet, dass ohnehin jede Person völlig losgelöst durch das richtige Mindset alles haben kann. Für mich ist das ein negieren der Realität, denn ich habe bestimmt andere Möglichkeiten als eine Frau aus einem anderen Land – und sie hat andere als ich. Es ist ein „jeder-ist-selbst-für-seine-Probleme-verantwortlich“ und macht es meiner Meinung nach leichter, wegzuschauen, weil man es sich ja entsprechend zurecht legt. Ich habe jahrelang versucht, alleine klarzukommen, hab an mir gezweifelt, weil ich es einfach nicht aus der Bulimie rausgeschafft habe, weil ich es einfach nicht geschafft habe, glücklich zu sein. Und mein größtes Fazit aus 40 Jahre Leben, aus Bulimie, aus Selbständigkeit, aus allem was ich erlebt habe, es geht nicht alleine! Und es liegt nicht alles, was mir passiert, widerfährt, was ich erlebe, an mir selbst. Ich bin nicht alleine auf dem Planeten und wir bedingen uns alle gegenseitig. Es gibt Ereignisse, die nicht in meiner Hand liegen und deren Konsequenzen ich dann trotzdem tragen muss/darf/kann. Und auch wenn meine Reaktion in „meiner Hand liegt“ -  wenn mir oder einem Menschen in meinem Umfeld etwas Schlimmes passiert, kann und will ich das nicht weglächeln (und auch nicht dass es andere tun wenn ihnen nicht danach ist). Wenn ich Jahre später draufkomme, dass es doch für was gut war, dann ist das superschön und es kommt auch vor. Aber es gibt auch Realitäten/Schicksalsschläge/Ereignisse, bei denen das nicht so ist, sondern die auch nach Jahren keinen Sinn und nichts Schönes aus sich entstehen haben lassen. Also lasst uns liebevoll, mitfühlender und einfach netter miteinander umgehen. Wenn du einem anderen Menschen gegenüber stehst, kennst du nie die ganze Geschichte. Du kannst nie in jemanden hineinschauen und niemand in dich. Das im Hinterkopf zu behalten ist etwas dass ich nicht vergessen möchte. Wie sieht es bei dir aus?


Wenn du dich von Diäten befreien und dich mit deinem Körper wirklich wohl und verbunden fühlen möchtest, schau dir gerne mein Begleitungsprogramm an oder bleib up to date mit meinem monatlichen Newsletter!


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