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Wo ziehen wir Grenzen bei Essverhalten?

Sehr oft, wenn ich meine persönliche Essstörungsgeschichte (Details hier) erzähle/erwähne oder was ich genau in meiner Arbeit tue (Frauen begleiten, die ihre Beziehung zu Essen und Körper verändern wollen und sich endlich wohlfühlen und annehmen wollen, so wie sie sind), dann erzählen mir Menschen, dass sie ja keine Essstörung und eigentlich keine „richtigen“ Probleme mit dem Essen haben, ABER…. ABER es würde halt doch aufs Essen geschaut werden. ABER eine bestimmte Figur wäre halt schon schön. ABER es wäre ja doch utopisch, einfach so zu essen, wonach es hungert und gustert (ich bin mir gerade nicht sicher ob es das Wort gibt, möchte es aber trotzdem verwenden :-)). ABER den Schweinehund, der regelmäßig bekämpft gehört, den hätte ja jeder. ABER es sind halt schon Gedanken da, die die Figur/das Essen/Sport betreffen. ABER es wäre halt schon so, dass man nicht einfach die Kontrolle loslassen könnte. ABER einfach nach Lust und Laune – da würde man bestimmt total zunehmen. Aber, aber, aber. Falls es verurteilend klingt, dann soll es das nicht, denn ich möchte damit etwas aufzeigen. Ich war selbst lange Zeit meines Lebens in solchen ABER´s/Gedanken und auch heute gibt es Tage, wo sie sich mehr Platz in meinem Kopf erobern als mir guttut…

 

Auf der anderen Seite sind da meine Kundinnen*, die endlich die Gedankenkreise um Essen/Körper/Zwangssport loswerden wollen und die sich meistens wünschen, alles intuitiv zu machen und gar nicht mehr drüber nachzudenken (was ich gut verstehen kann, denn wenn man Jahrzehntelang viel zu viel daran denkt, ist das Maß manchmal einfach voll). Und die sich fragen: wann bin ich angekommen/fertig/geheilt/“normal“? Wenn ich ALLES esse? Wenn ich mich wieder gut spüre? Wenn ich keine Gewichtsschwankungen mehr habe? Wenn ich weniger Gedankenkreise habe? Wieviel weniger? Wenn ich mich immer wohl fühle?

Umso wichtiger ist es, das ganz genau am Anfang einer Begleitung/eines Coachings zu besprechen – was wird wirklich gewünscht? Wo soll es hingehen? Was ist das Ziel? Wie würde ich im Alltag merken, dass es nun für mich passt? Woran könnte ich es festmachen? Wie realistisch und gewünscht ist z.B. absolute Gedankenlosigkeit? Denn eindeutig ist bei diesem Thema eigentlich nichts!

 

Worauf will ich mit all dem hinaus? Ich frage mich, wo ziehen wir eine Grenze zwischen Essverhalten, das noch als „normal“ gilt und ab wo wird es bedenklich und ist die Einteilung in Essstörung, so wie es derzeit mit dem Symptomkatalog geschieht, immer richtig? Denn ganz oft WIRKT es, als wäre der Unterschied z.B. bei Bulimie nur in einer Handlung vorhanden: diese eine Handlung kann willentlich herbeigeführtes Erbrechen sein, das Einnehmen von Abführmitteln, exzessiver Sport um die zugeführten Kalorien wieder abzutrainieren oder andere Gegenmaßnahmen. Die Gedanken sind oft die gleichen oder wahnsinnig ähnlich wie von Menschen, deren Verhalten nicht als essgestört eingeordnet wird. Wie viele Gedanken über Essen/Sport/Figur/Kalorien sind „normal“? Daher denke ich darüber nach, ob diese klare Grenze, die bei einer Diagnoseerstellung gezogen wird, nicht eigentlich eine Grauzone ist? Aber wie könnte man sie sonst ziehen? Eine Frage, auf die ich keine Antwort habe. Ich weiß für mich nur, dass die Grenze sich eher gezackt/gewellt/verschwommen darstellt als völlig klar. Mir geht es um Bewusstwerdung, darum, darüber nachzudenken und wie ginge das besser als mit vielen Fragen? Ich glaube, jede Person, die sich hier wiederfindet, hat die Aufgabe, die eigenen, nur für sich selbst passenden Antworten zu finden. 

 

Ich für mich habe die Antwort im Moment gefunden: ich möchte unbeschwert und gelassen an Essen denken können und mit Freude an Bewegung denken. Ich möchte Hunger und Gusto und Begeisterung an schönem, leckeren Essen nachgehen können, ohne dabei Angst vor meinem zukünftigen Spiegelbild zu haben. Völlige Gedankenlosigkeit passt für mich nicht – dafür ist Essen für mich ein zu wichtiger Ausdruck von Selbstfürsorge und Liebe. 

 

Bitte um Beachtung, dass es sich dabei um meine persönliche Meinung, Erfahrung und Beobachtung handelt, ich jedoch keine Ärztin, Therapeutin oder Diätologin bin! 

 

Ich freue mich über deine Gedanken zu dem Thema!

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