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Essen & Grenzen


Wenn man nie gelernt hat, Grenzen zu setzen, sondern es gewohnt ist, das zu tun, von dem man denkt, dass es das ist, was die andere Person will, weiß man oft selbst gar nicht, wo die eigenen Grenzen eigentlich sind. Vermeintliche Gründe, keine Grenzen zu setzen, gibt es einige, obwohl sie bei genauer Betrachtung die Gültigkeit verlieren. Oft setzt man keine Grenzen, weil man gemocht werden will, sich wünscht, gesehen zu werden oder in Gemeinschaft zu sein, oder weil man das Gefühl hat, zu sensibel zu sein oder zu viel Zeit für sich selbst zu brauchen und fühlt sich damit falsch. 

 

Ohne Grenzen zu setzen findet man sich in vielen verschiedenen Situationen wieder, z.B. wo man stundenlang zuhört und sich weit weg wünscht, weil es sich anstrengend anfühlt, es aber nicht sagt und auch sonst keine anderen Maßnahmen ergreift, um aus der Situation zu gehen. Eine andere Möglichkeit kann sein, dass man merkt, dass man bei Unternehmungen dabei ist, die einem selbst und den eigenen Wünschen so gar nicht entsprechen, für das eigene Pensum zu viel sind oder überhaupt nicht in den persönlichen Wach-Schlaf-Rhythmus passen. Wenn man nie oder nur wenige Grenzen gesetzt hat, kann sich NEIN sagen oder dass man etwas nicht möchte, nicht dabei sein will am Anfang richtig brutal anfühlen. 


Verbindung von Grenzen & Essen


Wie hängt das Thema Grenzen setzen nun mit dem Essen zusammen? Da habe ich mehrere Komponenten entdeckt/beobachtet/selbst erfahren:


1. gefühle unterdrücken

Teile von einem selbst können wütend sein über das „nicht Grenzen setzen“ und Essen hilft kurzfristig dabei, unangenehme oder widersprüchliche Gefühle runterzuschlucken bzw. zu unterdrücken. Leider gerät man dadurch oft in einen Kreislauf mit Selbstvorwürfen hinein. Viel eher würde ich hier empfehlen, die Gefühle dosiert zuzulassen, auch wenn das abgrenzende Verhalten, das man sich wünscht, sich noch nicht leben lässt. Hier nicht böse mit sich selbst zu werden, ist ein großer Schritt Richtung Selbstliebe und Akzeptanz. Es kann auch einen enormen Unterschied machen, ob man unbewusst „emotional isst“ oder sich bewusst macht, was da abläuft. Denn es sollte nie darum gehen, nie wieder emotional zu essen, sondern mehrere Strategien für den Umgang geben, von denen auch Essen eine sein darf!


2. sich wieder spüren

Essen kann ein Versuch sein, sich selbst wieder zu spüren, wenn man meistens eher das Umfeld spürt als sich selbst, eben durch verschwommene Grenzen. Denn es anderen recht machen zu wollen, bedeutet, sich sehr viel Zeit in andere hineinzuversetzen und dafür oft mehr bei den anderen zu sein als bei sich selbst. Blicke, Gesten und Worte zu interpretieren und zu versuchen, darauf „angemessen“ oder „passend“ zu reagieren, kann einen stark von sich selbst wegbringen. Da Essen die Sinne anspricht, vor allem riechen, schmecken und sehen, kann es sich tatsächlich um einen Versuch handeln, sich dadurch besser zu spüren. Abgesehen davon, im Umgang mit anderen mehr bei sich selbst zu sein (gut üben lässt sich das auch in sicheren Räumen wie z.B. Frauenkreisen) kann es auch helfen, sich die Sinne beim Essen richtig bewusst zu machen, denn ganz oft stopfen wir unbewusst oder sehen nebenbei fern oder lesen. Z.B. bei Musik zu essen kann ein guter Übergang sein, das Essen anzusehen, die Konsistenz, den Geschmack und die Farben richtig wahrzunehmen, kann dabei helfen, sich im eigenen Körper zu verankern. 


3. hochsensibilität

Essen als Trost für das Gefühl, in so vielem gefangen zu sein. Das kann gerade dann ein wichtiger Punkt sein, wenn sich Essensthemen mit Hochsensibilität überschneiden. Denn gerade dann, wenn man spürt, wie es anderen Menschen geht, wird das Grenzen setzen nochmal schwieriger. Und ist umso wichtiger, weil zu langes Hinhalten die eigenen Kapazitäten enorm schwächen kann. Hier hilft es, sich die eigenen Sensibilität bewusst zu machen und dass das was man für andere tun, in erster Linie für sich selbst getan werden sollte. Es ist auch vollkommen in Ordnung, auszuweichen, man muss nicht jedem ausufernden Smalltalk klar ins Gesicht sagen, dass es einem zu viel ist. Ein „ich muss jetzt wieder weiter“ und ein paar Schritte weg sind auf jeden Fall ein guter Anfang. 


4. weibliche sozialisierung

Der (unbewusste) Wunsch, sich selbst etwas Gutes zu tun und sich für das „richtige, weil nette und nicht abweisende“ Verhalten zu belohnen. Gerade Frauen und weiblich sozialisierte Personen haben oft das Gefühl, nur dann in Ordnung zu sein, wenn sie immer lieb und nett sind – was sich oft auch als ein nicht abgrenzen zeigt. Sich mit den eigenen Bewertungen auseinanderzusetzen, kann da sehr helfen. Wenn der Einstieg schwerfällt, kann es auch gut darüber gehen, was an anderen Frauen* als störend empfunden wird (solange man sich bewusst ist, dass es etwas mit einem selbst zu tun hat (!)). Auch oder gerade als Frau habe ich jedes Recht, gezielt Grenzen aufzuzeigen und muss nicht für alle Bedürfnisse meines Umfelds sorgen! Wenn man sich als Frau Gedanken darüber macht, ob man zu viel für sich selbst „fordert“, dann ist die Antwort immer NEIN, denn ansonsten würde frau sich gar keine Gedanken darüber machen! 


5. trotz & opferhaltung

Spannenderweise ergänzt sich dieser Punkt mit den beiden vorangegangenen: unterdrückte Gefühle sowie weibliche Sozialisierung. Denn gerade wenn ganz viel auf andere Bedürfnisse geachtet wird, entsteht eine ganz eigene Position, dass sich 

  • Der Wert über die Unentbehrlichkeit durch das Kümmern bemisst
  • Frau sich selbst als Opfer sieht (es ist völlig normal, immer wieder mal in eine Opferrolle hineinzugeraten, hier geht es darum, permanent drin zu sein und nichts ändern zu wollen/können)
  • Trotz, weil dann trotzdem oft das Gefühl da ist, es schaut ja sowieso keiner auf mich, nur ich auf die anderen, jetzt gönn ich mir erst recht was – und das ist mit Essen oft am einfachsten, schnellsten und unauffälligsten

Gerade bei diesem Punkt braucht es oft Hilfe von außen, weil es extrem schwer ist, sich selbst aus tiefen Opferrollen zu befreien, vor allem dann, wenn sie eng mit dem Selbstwert verknüpft sind! Es kann sehr weh tun, sich das selbst einzugestehen!



Fakt ist, dass Grenzen eng mit unseren Bedürfnissen zusammenhängen. Wenn es keine Grenzen gibt, wird der Raum für einen selbst immer kleiner. Eine Grenze bedeutet nie automatisch, dass man jemanden nicht mag oder im Stich lässt, sie bedeutet, dass du dich selbst magst und dich nicht im Stich lässt! Wenn dich jemand wirklich gerne hat, dann freut er*/sie* sich darüber, wenn du dich abgrenzen kannst! Und wenn du Ablehnung erfährst, wenn du beginnst, Grenzen zu setzen, ist eine gute Frage, was die andere Person von deiner Grenzenlosigkeit hat. 

 

Ich freue mich, wenn du teilen magst: 

Welche Ängste hast du, wenn du klare Grenzen setzt? Sind es überhaupt bewusste Ängste oder ist dein Verhalten im Bereich Grenzen automatisiert und voller Muster? Wo wäre es für dich wirklich wichtig, deine Grenzen zu kennen und zu setzen?


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