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Mich selbst neu entdecken und kennenlernen


Das ist ein riesiges Themengebiet, das ich da gerade für mich entdecke, erlebe und erforsche – wie geht es eigentlich nach einer Essstörung WEITER? Kurzzusammengefasst meine Geschichte: Ich hatte aktive Bulimie von 13-34 Jahren, danach sehe ich mich circa 2-3 Jahre in Recovery – wobei die Grenzen hier mehr als fließend sind. Und so vieles kann man überhaupt erst im Nachhinein sehen, zuordnen oder im Gesamtkontext wahrnehmen. Tatsache ist, ich hatte sehr lange eine Essstörung, ich bin mit meiner Essstörung durch Schule, Pubertät, Erwachsenwerden und einen großen Teil meines Erwachsenenlebens gegangen. Ich habe meinen ersten Job mit Bulimie begonnen, bin meine erste Beziehung mit Bulimie eingegangen, habe meine erste Wohnung mit Bulimie bezogen. 

 

Und dann ist das passiert, womit niemand gerechnet hätte – keine Therapeut*in, keine Statistik und am allerwenigsten ich. Ich habe nicht nur die Symptome in den Griff bekommen, sondern ich habe ein völlig neues Lebensgefühl bekommen. Ich fühle keinen Teil der Essstörung mehr in mir. Mein Essverhalten ist keine Belastung geblieben, meine Gedanken kreisen nicht mehr um Essen, Nicht Essen, oder wie genau meine Figur aussieht, ob ich Kleidungsstück X „tragen kann“ (ich kann alles tragen, was ich will!) oder ob ich ab- oder zugenommen habe. Ich habe das Gefühl, nochmal völlig neu ins Leben zu starten (gefühlt so wie es anderen Menschen so mit ca. 20 Jahren geht oder so wie ich glaube dass es mit 20 Jahren „normalerweise“ ist), und das beinhaltet alle Bereiche des Lebens: Beziehungen in Familie, Partnerschaft, Freundschaft, Bekanntschaft; Arbeit, Freizeitgestaltung, Grenzen, Kommunikation, Bewegung, Lebensgestaltung. Kein Stein bleibt auf dem anderen, alles wird neusortiert, manchmal durchgewirbelt und dazwischen ist es ruhig, um sich zu setzen. Die Veränderungen sind so stark ineinander verwoben, das wird mir gerade so richtig, richtig klar. Ändert sich meine Kommunikation und meine Grenzen, verändern sich natürlich auch die Beziehungen. Sind tagtägliche Gedankenkreise nicht mehr da, so bleibt Raum, um Interessen nachzugehen, um nachzudenken und zu überlegen, was ich eigentlich gern beruflich tun möchte. Raum und Zeit für Wünsche und Bedürfnisse!


Das Schönste an ALLEM ist die freie Kapazität. Mir war immer bewusst, dass sich meine Gedanken und Gefühle den ganzen Tag nur um Aussehen, Essen und gemocht werden gedreht haben. Mit gemocht werden meine ich tatsächlich das Extrem, die ganze Zeit die Gesichtsausdrücke, Aussagen und das Verhalten von anderen Menschen zu interpretieren und zu versuchen, mich danach zu richten. Aber erst jetzt merke ich so richtig, wie ein Leben ohne diese Zwangsgedankenschleifen sein kann. Unglaublich frei! Und ich liebe es, dass kein morgendliches Wiegeritual mehr die Qualität meines Tages bestimmt!

 

Wo sich auch aktuell noch sehr viel ändert, ist in der Kommunikation. Ich habe mich vor über 10 Jahren mit ICH-Botschaften aus der gewaltfreien Kommunikation beschäftigt und damit schon sehr gute Erfahrungen gemacht. Nun ertappe ich mich oft dabei bei etwas, das ich anhand eines Beispiels erklären möchte: wenn mich z.b. eine Freundin fragt, ob mir ein Treffen besser am Vormittag oder am Nachmittag passen würde, antworte ich automatisch, dass es mir egal ist oder dass sie es sich aussuchen kann. Nun lösche ich oft die bereits getippte Nachricht und antworte dann auf die Frage indem ich angebe, was mir tatsächlich besser passt. Klingt jetzt klein, aber ganz ehrlich, diese vielen Kleinigkeiten summieren sich zusammen und es entsteht ja dann daraus auch was anderes. Mit „ist mir egal“ entscheidet dann die andere Person und wenn ich das dann für mich nicht passt, dann gibt es den Teil in mir, der alles daran setzen möchte, das Treffen trotzdem möglich zu machen = Stress für mich. Und nachträglichen Ärger über mich selbst, wieso ich nicht gleich gesagt habe, dass ich nachmittags z.B. nicht kann oder dass mir der Vormittag lieber wäre. Ein weiterer Schritt raus aus völlig unnötigem People Pleasing. 

 

Neu ist für mich auch das Durchbrechen von ganz alten Beziehungsmustern. Ich hab verinnerlicht,  wenn es mir schlecht geht bekomme ich Aufmerksamkeit. Nur möchte ich diese „Leid-Aufmerksamkeit/Leid-Verbindung“ nicht mehr. Ich will natürlich alle meine Stimmungen ausleben (soweit möglich) und mich nicht permanent verstellen, aber ich will auch nicht automatisch in Opfer/schlecht-geh-Haltungen hineingehen. Dahinter steckt der verdrehte Wunsch, besonders gemocht zu werden, wenn ich „schweres“ durchmache. Und nun möchte ich lieber so gemocht werden, wie ich wirklich bin – mit meiner Sonnenseite genauso wie mit allem anderen. Hier finde ich gerade eine neue Balance. 


Immer bewusster wird mir auch, dass ich (sicher auch aufgrund Hochsensibilität und Scanner Persönlichkeit – was eine spannende Kombination zum Leben ist, das kann ich euch sagen :-)) ein super stressiges Leben nicht verkrafte. Außerhalb der Essstörung hatte ich immer massive Probleme mit meinem Immunsystem und war unheimlich oft krank. Ich habe mich früher zusätzlich zur Essstörung mit extrem viel leisten in der Arbeit und ganz viel Sport selbst sehr gestresst. Auch mein berufsbegleitendes Studium neben dem Vollzeitjob hat mich gefühlt viel Substanz gekostet. Ich merke auch, dass ich dann in eine Art Tunnelblick hineinkomme, wenn es zu oft zu stressig wird und es sich schlecht auf meine Psyche und mein gesamtes Wohlbefinden auswirkt. Daher achte ich von vornherein darauf, nicht zu viele Termine zu haben und genauso wie „aktive“ Termine auch Ruheinseln, Pausen, Seelenbalsamzeiten und Leerzeiten einzuteilen (und mich daran zu halten ;-)). Und ja, natürlich kann weniger Arbeit auch weniger Geld bedeuten, aber da ich gleichzeitig mit meiner Essstörung auch das Gefühl losgeworden bin, immer zu wenig zu bekommen, merke ich das ehrlich gesagt nicht. Ich hab früher so viel versucht, meine innere Leere mit Essen, Party, Alkohol oder eben Shopping zu stillen. Und ich bin mehr als dankbar, dass das nicht mehr nötig ist. 

 

Ich sehe immer mehr, dass es nicht nur mir und anderen nach langen Essstörungen so geht, genauso ist es auch bei Trennungen oder Tod nach langen Beziehungen, bei Pensionsantritt oder vielleicht auch wenn Kinder aus dem Haus gehen. Auch das sind Schwellenräume, die wir oft nicht als solche erkennen. 


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